Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Master-Studium für den Gebrauch verschiedenster Systeme erforderlich war. Ob es sich nun um Software oder um Alltagsgegenstände handelt – Usability oder Gebrauchstauglichkeit ist zu einem wichtigen Qualitätsmerkmal geworden.
Inhaltsverzeichnis
Ein bisschen Definition muss sein
Die ISO-Norm 9241-11 definiert Usability als das …
»…Ausmaß, in dem ein System, ein Produkt oder eine Dienstleistung durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden können, um festgelegte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.«
Effektivität ist dabei die Genauigkeit und Vollständigkeit, mit der ein Ziel erreicht wird.
Effizienz setzt hingegen die eingesetzten Mittel in Beziehung zum erreichten Ergebnis.
Ein Online-Banking-System etwa, das dafür sorgt, dass dein Geld seinen Empfänger zuverlässig und sicher erreicht, kann also als effektiv betrachtet werden. Wenn aber für jede Transaktion mehrere Dutzend Mausklicks nötig sind, wäre es zwar immer noch effektiv, jedoch nicht mehr effizient.
Miteinander kombiniert bedeuten Effizienz und Effektivität also größtmöglichen Nutzen durch geringstmöglichen Aufwand.
Es fällt auf, dass die ISO-Definition sehr allgemein gehalten ist. Tatsächlich findet sie nicht nur bei Software-Produkten Anwendung, sondern bei einer großen Zahl von Produkten, die im Alltag Anwendung finden. Dies wird vor allem durch den Begriff des Nutzungskontexts zum Ausdruck gebracht. Denn damit ist die Kombination von Benutzern, Zielen, Aufgaben, Ressourcen und Umgebung gemeint.
Beispielsweise funktioniert ein Online-Banking-System in einem anderen Rahmen als etwa eine Universalfernbedienung zum Steuern verschiedener Haushaltsgeräte. Für beide ist aber wichtig, dass sie ihre jeweiligen Aufgaben zuverlässig lösen.
##Heuristische Evaluierung
Für viele Menschen ist der Däne Jakob Nielsen der Guru in Sachen Usability. In den 1990er Jahren bemängelte er, dass damalige Richtlinien für die Gebrauchstauglichkeit oft mehrere tausend Regeln umfassen würden. Da eine solche Menge jedoch eher einschüchternd als hilfreich war, kam er zu dem Schluss, dass eine Reduktion sinnvoll wäre.
Gemeinsam mit Rolf Molich entwickelte er zehn Richtlinien, die sowohl während der Entwicklung eines Systems als auch bei der späteren Beurteilung herangezogen werden können. Diese Usability-Heuristiken wurden im Laufe der Zeit mehrfach überarbeitet. Die aktuelle Version ist auf der Website der Nielsen Norman Group zu finden.
Der Begriff der heuristischen Evaluierung mag sehr hochtrabend wirken. Tatsächlich versteht Nielsen darunter jedoch lediglich …
»…looking at an interface and trying to come up with an opinion about what is good and bad about the interface.«
(Jakob Nielsen, »Usability Engineering«, Academic Press (An Imprint of Elsevier), San Diego, CA, 1993)
Die Usability-Heuristiken bilden dabei nur einen strukturierten Rahmen und eine Stütze, während man gleichzeitig auf den eigenen Erfahrungsschatz zurückgreift.
Dieser Beitrag stellt nun die ersten vier der zehn Usability-Heuristiken vor und erläutert sie kurz anhand konkreter Beispiele. Die verbleibenden sechs Heuristiken folgen im zweiten Teil.
1 – Sichtbarkeit des Systemstatus (Visibility of system status)
Sagen wir, du betreibst einen Online-Shop. Dabei besteht ein Einkauf aus mehreren Schritten: Auswahl der Waren, Hinzufügen in den (digitalen) Warenkorb, Eingabe von Versandinformationen und Bezahlen an der (digitalen) Kassa. Im Idealfall wissen deine Kunden jederzeit, welchen Schritt sie gerade ausführen und was sie noch erwartet.
Amazon etwa löst diesen Prozess visuell sehr gut auf. Der Versandriese zeigt einen Verlaufsbalken, auf dem die einzelnen Schritte von »Willkommen« bis »Bezahlen« vermerkt sind und den sich ein kleines Symbol entlang bewegt. Als Kunde weißt du jederzeit, wo du gerade bist.
Ein anderes Beispiel offenbart sich anhand der kleinen Zahl über dem Einkaufswagen-Icon. Sobald du einen Artikel »hineinlegst«, verändert sie sich. Dies gibt dir nicht nur die Information, wie viel schon darin liegt, sondern dir wird auch vermittelt, dass du etwas getan hast. Mit diesem Feedback wird ein Gefühl der Unsicherheit verhindert, ob dein Mausklick nun wirklich etwas bewirkt hat oder nicht.
2 – Übereinstimmung von System und wirklicher Welt (Match between system and the real world)
Das System, so Nielsen, soll die Sprache der Benutzer sprechen.
Wenn du ein System benutzt, möchtest du genau das und nur das: es benutzen. Du willst nicht bei jedem zweiten Wort, über das zu stolperst, seine Bedeutung nachschlagen müssen.
Als Entwickler eines Systems, das für einen großen Kreis von Anwendern gedacht ist, solltest du es also vermeiden, Menschen mit Fachsprache zu verwirren. Verwende bei Meldungen und Beschriftungen nach Möglichkeit Begriffe aus dem Alltag.
Doch die gewünschte Übereinstimmung zwischen System und wirklicher Welt geht über die bloße Sprache hinaus.
Die Betreiber von Online-Shops können fast sicher sein, dass all ihre Kunden schon einmal in einem Supermarkt einen Einkaufswagen vor sich hergeschoben haben. Daher präsentieren sie uns ein vergleichsweise simples Symbol, das nur aus ein paar Strichen und Kreisen besteht. Doch mehr ist auch gar nicht nötig. Denn wir erkennen das Einkaufswagen-Icon und wissen intuitiv, dass es im Wesentlichen für das gleiche gedacht ist, wie sein Pendant im Supermarkt.
3 – Benutzerkontrolle und Freiheit (User control and freedom)
Nutzer von Systemen wollen nicht das Gefühl haben, nur Beifahrer zu sein. Sie wollen selbst aktiv werden können. Gelegentliche Fehler oder unbeabsichtigte Aktionen sind dabei leider unvermeidbar. Daher ist es wichtig, ihnen jederzeit die Möglichkeit zu geben, etwas rückgängig zu machen oder auch die digitale Notbremse zu ziehen. Daher sollte es immer eine jederzeit erreichbare und gut sichtbare »Abbruch« und/oder »Rückgängig«-Funktion geben.
Um wieder zum Beispiel des Online-Shops zurückzukommen. Wenn du kurz vorm Bezahlen stehst und du es dir im letzten Moment anders überlegst, willst du nicht gezwungen sein, den Kauf trotzdem durchzuführen. Selbst kurz vor dem Klick auf Bezahlen willst du immer noch die Möglichkeit haben, den ganzen Vorgang abzubrechen. Du möchtest nicht dazu gezwungen sein, einen Kauf durchzuführen, den du eigentlich nicht mehr tätigen willst.
Es kann aber auch sein, dass du den Kauf gar nicht abbrechen, sondern nur einen weiteren Artikel hinzufügen möchtest. Oder vielleicht willst du einen von mehreren Artikeln doch nicht kaufen. Gäbe es nur die Abbruch-Funktion, müsstest du den ganzen Einkauf anschließend wieder von vorne starten. Besser ist es, wenn der Shop es dir ermöglicht, einen oder mehrere Schritte zurückzugehen und deine Artikel zu ergänzen und zu korrigieren. Auf diese Weise kehrst du nach wenigen Mausklicks als zufriedener Kunde zur virtuellen Kassa zurück.
4 – Konsistenz und Standards (Consistency and standards)
Kurz gesagt: Gleiches soll Gleiches bedeuten. Die Benutzer sollen sich nie fragen müssen, ob verschiedene Dinge vielleicht die gleiche Bedeutung haben oder umgekehrt. Sie haben bestimmte Erwartungen und Vorstellungen – dem sollte Rechnung getragen werden.
Wenn du in einem Online-Shop einkaufst, in dem ein Icon mit einem Einkaufswagen für die Liste der bereits gewählten Artikel verwendet wird, erwartest du, dass dies konsequent durchgezogen wird. Würde plötzlich ein Symbol auftauchen, das stattdessen einen Einkaufskorb mit Griff zeigt, wird dich das vermutlich aus dem Konzept bringen. Intuitiv magst du zwar die Bedeutung richtig interpretieren, doch ein Gefühl der Unsicherheit wird bleiben.
Das Berücksichtigen von Konsistenz und Standards beschränkt sich jedoch nicht nur auf ein einzelnes System. So gibt es etwa die Symbole mit dem Häuschen (»Home-Button«) oder den drei waagrechten Strichen (»Burger-Menü«). Diese Symbole sind systemübergreifend bekannt, und die meisten Benutzer wissen, was sie davon erwarten müssen. Wenn es solche Standards gibt, dann solltest du sie als Entwickler auch verwenden und nicht versuchen, das Rad neu zu erfinden.
Stichwort »Home«-Button: Auch Positionen spielen eine Rolle. Die »Home«-Funktion befindet sich normalerweise in der linken oberen Ecke des Schirms. Auch das ist ein Standard, auf den sich Benutzer verlassen wollen. Diesen Button plötzlich anderswo zu platzieren, wäre daher keine gute Idee.
##Zwischenfazit
Bereits die Berücksichtigung dieser vier Punkte sollte zu einer Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit eines Systems führen. In Teil zwei stellen wir die verbleibenden sechs Usability-Heuristiken vor.
Autor: Günter Gerstbrein, Jahrgang 1977, studierte technische Mathematik an der TU Wien und war etwa 13 Jahre in der Software-Entwicklung tätig. Als „Texter, der aus der Technik kam“ ist es sein Ziel, komplizierte Sachverhalte leicht verständlich und ohne viel Techno-Babble zu vermitteln. Gerstbrein textet